• de
  • en

Nachlass von Kai Friedrich Schade

Der Nachlass des Journalisten und Publizisten Dr. h.c. Kai Friedrich Schade, der im November 2013 nach kurzer, schwerer Krankheit im Alter von 73 Jahren verstarb, steht ab sofort dem Leibniz-Institut für Europäische Geschichte zur Verfügung. Schade war seit 1970 über drei Jahrzehnte hinweg verantwortlicher Redakteur der Zeitschrift »epd-Entwicklungspolitik« und damit ein wesentlicher Impulsgeber der entwicklungspolitischen Publizistik in Deutschland. Angesiedelt an der Schnittstelle von Politik, Wissenschaft und Gesellschaft entwickelte sich die »epd-Entwicklungspolitik« unter seiner Leitung zum zentralen Forum für Nord-Süd-Themen und zur diskursiven Plattform für die kritische Diskussion der Entwicklungspolitik von Staat, Kirchen und Nichtregierungsorganisationen in der Bundesrepublik.
 

mehr lesen

Bestand
 
Das IEG hat im Frühjahr 2014 von der Familie den Nachlass und Teile der Bibliothek von Kai Friedrich Schade zur wissenschaftlichen Sichtung und Erschließung übernommen.

Kernstück der übergebenen Teile der Bibliothek ist eine vollständige Ausgabe der »epd-Entwicklungspolitik« (0/1970 bis 23/24/2003) und die Ausgaben mit dem Titel »Zeitschrift Entwicklungspolitik« (1/2/2004 bis 23/24/2004) inklusive aller in diesem Zeitraum erschienenen Materialen und Dokumentationen. Ebenso wurden rund 50 Titel aus der entwicklungspolitischen Bibliothek des Verstorbenen als wertvolle thematische Ergänzung in die Bibliothek des Instituts integriert. Sie sind im OPAC als »Geschenk Kai Friedrich Schade« gekennzeichnet.
 
Der Nachlass von Kai Friedrich Schade umfasst insgesamt rund 25 Ordner mit einer Laufzeit von 1962 bis 2013. Ein großer Teil davon – insgesamt 10 Ordner – umfasst Publikationen und Publikationsentwürfe Schades zwischen 1962 und 2008. Die restlichen Ordner enthalten die »epd-Entwicklungspolitik« betreffende Korrespondenz und Unterlagen Schades von 1968 bis 2013. Dazu gehören Denkschriften und Diskussionsvorlagen, vereinzelte Korrespondenz mit Autoren, Material zu wiederholt durchgeführten Evaluationen der Zeitschrift sowie umfangreicher Schriftwechsel im Umfeld der Finanzierungskrise der epd-Entwicklungspolitik im Herbst 1980. Ebenso dokumentiert sind Preisverleihungen, Jubiläen der Zeitschrift und einzelne Veranstaltungen.
 
Der Nachlass wird sukzessive erschlossen und verzeichnet und der wissenschaftlichen Forschung zugänglich gemacht. Für nähere Auskünfte zum Nachlass wenden Sie sich bitte an Bernhard Gißibl.
 
 
Pionier der entwicklungspolitischen Publizistik in Deutschland – Kai Friedrich Schade und die „epd-Entwicklungspolitik“
 
Kai Friedrich Schade wurde 1940 in Heide/Holstein geboren. Nach dem Abitur und einem Studium der Soziologie und Volkswirtschaft in Frankfurt am Main kam er 1966 als wissenschaftlicher Redakteur zur Zeitschrift »Offene Welt«. Zwei Jahre später wurde er wissenschaftlicher Mitarbeiter im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Zu den von Erhard Eppler angestoßenen entwicklungspolitischen Reformen gehörten auch die Verbesserung der öffentlichen Vermittlung entwicklungspolitischer Belange und die verstärkte Beteiligung der Gesellschaft an der Entwicklungspolitik. Beides wurden Schades Kernaufgaben. Bereits im Herbst 1970 ließ er sich vom Ministerium wieder freistellen, um dieses Anliegen als verantwortlicher Redakteur in Form eines neuen entwicklungspolitischen Diskussionsforums voranzutreiben: der »epd-Entwicklungspolitik«, angesiedelt unter dem Dach des Evangelischen Pressedienstes in Frankfurt am Main.
 

Erhard Eppler (links im Bild) mit Kai Friedrich Schade

Mit dieser als »Informationsdienst« zur Entwicklungsproblematik gedachten Publikation reagierte die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) auf die Forderungen nach einer ausgewogeneren Berichterstattung über die Nord-Süd-Beziehungen, wie sie seit der vierten Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen 1968 in Uppsala vor allem von den jungen Kirchen der Südhalbkugel erhoben worden waren. Die EKD verstand die »Entwicklungspolitik« insbesondere auch als begleitendes Organ für die entwicklungspolitische Tätigkeit der kirchlichen Dienste, was auch in der anfänglichen Finanzierung der Publikation durch den Kirchlichen Entwicklungsdienst zum Ausdruck kam. Schade jedoch erweiterte schnell Ausrichtung und Anspruch: Über die Bündelung themenspezifischer Information und Nachrichten hinaus ging es ihm um Hintergründe, Meinungen, offenen Diskurs und eine Vielfalt der Perspektiven. Der in den 1970er und 1980er Jahren viel diskutierte ausgewogenere Informationsfluss zwischen Nord und Süd – in der epd-EP blieb er nicht nur Postulat, sondern wurde praktisch umgesetzt. Insbesondere Stimmen der ansonsten Stimmlosen aus der »Dritten Welt« sollten die entwicklungspolitische Diskussion hierzulande bereichern, auch auf unkonventionelle Weise. Schade entwickelte über die Jahre eine besondere Vorliebe für Karikaturen, die ein rühriger Stab freier Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus Printmedien und Magazinen der Südhalbkugel zusammentrug. Sie wurden zu einem Markenzeichen der Publikation, die in den 1970er Jahren in einer Auflagenhöhe von knapp 2000 Stück erschien und sich primär an entwicklungspolitisch »involvierte« und gesellschaftliche Multiplikatoren richtete. Leitende Redakteure gehörten ebenso zur Zielgruppe wie global und ökumenisch sensibilisierte Lehrer oder Pastoren.

Plattform zwischen Wissenschaft, Politik, Kirche und Öffentlichkeit

Die »Entwicklungspolitik« definierte sich über ein breites Themenspektrum und einen ausgeprägten Sinn für globale Ungleichheiten und Ungerechtigkeiten. Das in der EKD hochumstrittene Anti-Rassismus-Programm des Ökumenischen Rates der Kirchen fand ebenso umfangreichen und kritischen Niederschlag wie das Agieren multinationaler Konzerne, deutsche Waffenexporte, die Theologie der Befreiung,  die Repräsentation der sogenannten »Dritten Welt« in westlichen Massenmedien oder die globale ökologische Krise. Wissenschaft traf auf den Seiten der epd-EP auf die entwicklungspolitische Praxis, die staatliche Entwicklungspolitik auf die Perspektive der Kirchen und der Dritte-Welt-Bewegung.  Unter Konflikten gelang es 2003, die von Schade angestrebte journalistische Unabhängigkeit und Vielfalt der Perspektiven auch institutionell zu verankern: Formell unabhängig und mit neuem Herausgeberkreis erschien die Publikation ab 2004 unter dem Titel »Zeitschrift Entwicklungspolitik«. Danach ging sie zunächst in der Zeitschrift »eins Entwicklungspolitik«, ab 2008 dann in den »Welt-Sichten« auf.  

Entwicklungspolitik war für Kai Friedrich Schade ganz selbstverständlich Welt-Innenpolitik: Sie begann zuhause vor Ort und sollte unter größtmöglicher Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger stattfinden. »Bewusstseinsbildung« für globale Probleme und Interdependenzen war das zentrale Anliegen, und sie bedurfte entsprechenden Wissens als Grundlage für ein vertieftes Verständnis entwicklungspolitischer Belange.
Sein Wirken als gleichermaßen unprätentiöser wie umtriebiger Impulsgeber für die Entwicklungspolitik als gesamtgesellschaftliche Aufgabe blieb daher nicht auf die Redaktion der epd-Entwicklungspolitik beschränkt. Schade engagierte sich in der Friedens- und Konfliktforschung, initiierte Tagungen und Publikationen zum Thema Schule und Dritte Welt und entwarf selbst Schaubilder zu entwicklungspolitischen Sachverhalten für den Einsatz in Schulunterricht.
Für sein leidenschaftliches publizistisches Engagement für Entwicklung, Frieden und Gerechtigkeit ist Kai Friedrich Schade mehrfach ausgezeichnet worden. Die Fakultät für Sozialwissenschaften und Philosophie der Universität Leipzig verlieh ihm 2008 die Ehrendoktorwürde für sein entwicklungspolitisches Lebenswerk. Im November 2013 verstarb Schade nach kurzer, schwerer Krankheit im Alter von 73 Jahren.