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Christian publishing and development awareness

 
Documentation of the IEG Mainz conference at Erbacher Hof, November 2015.

Kai Friedrich Schade (1940-2013) was a pioneer of development policy journalism in the German-speaking world. For more than three decades, from 1970 until his retirement in 2004, he was responsible for the information service "Entwicklungspolitik" (Development Policy) as managing editor. Under his leadership, the publication became the central forum for a critical, many-voiced discourse on the relationship between German society and the societies of the global South. On the occasion of his 75th birthday and the second anniversary of his death, the Leibniz Institute for European History in Mainz (IEG) gathered friends, former colleagues and scholars at the Academy of the Diocese of Mainz in Erbacher Hof on 19 November 2015 to pay tribute to Kai Friedrich Schade's life's work and to classify it historically. The lectures of the interdisciplinary symposium are documented on this website.
Kai Friedrich Schade and the "epd development policy". On the developmental cosmopolitanisation of German society An introduction by Bernhard Gißibl.

 


Johannes Paulmann (Direktor der Abt. Universalgeschichte, IEG Mainz): Begrüßung

Erhard Eppler (ehem. Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit) Grußwort (verlesen durch Karoline Schade-Meier)

Bernhard Gißibl (IEG Mainz): Kai Friedrich Schade und die »epd-Entwicklungspolitik« – zur Einführung

Die »epd-Entwicklungspolitik« aus der Sicht von Redaktion und Beirat
Norman Paech (Hamburg): Vom BMZ-Montagskreis zum beratenden Ausschuss der epd-Entwicklungspolitik


Konrad Melchers (Berlin): Leiderfahrung und kreative Offenheit: Reflexionen über das Redigieren der »epd-Entwicklungspolitik«

Erika Stückrath (Bielefeld): Bewusstseinsbildung über Lateinamerika – als freie Mitarbeiterin bei der »epd-Entwicklungspolitik«

Urs A. Jaeggi (Schwanden/Sigriswil): Die „Stimme der Stimmlosen“ im deutschsprachigen Raum – eine Schweizer Perspektive

Claudia Lepp (München): Die evangelische Kirche und die Dritte-Welt-Bewegung

Jörg Becker (Solingen): Evangelische Publizistik und Neue internationale Kommunikationsordnung (NIIO) – eine persönliche Rückschau

Hartmut Elsenhans (Leipzig): Die »epd-Entwicklungspolitik« und die Wissenschaften

Irene Dingel (Direktorin der Abt. Abendländische Religionsgeschichte, IEG Mainz): Einführung in den Abendvortrag

Wolfgang Gern (Frankfurt): Publizistik der Kirchen und die Herausforderung der Einen Welt: Erfahrungen und Perspektiven
 
Kai Friedrich Schade und die epd-Entwicklungspolitik. Zur entwicklungspolitischen Kosmopolitisierung der bundesrepublikanischen Gesellschaft

Eine Einführung von Bernhard Gißibl (PDF)
 
Kai Friedrich Schade war ein Pionier der entwicklungspolitischen Publizistik in der Bundesrepublik. Die von ihm verantwortete Publikation mit dem schlichten, aber programmatischen Titel »Entwicklungspolitik« versuchte, einen kritischen, vielstimmigen Diskurs über das Verhältnis der eigenen Gesellschaft zu jenen Gesellschaften zu befördern, die man damals als »Dritte Welt« bezeichnete und heute häufig unter dem Begriff des »globalen Südens« zusammenfasst. Damit war die »Entwicklungspolitik« ein wesentliches Instrument der entwicklungspolitischen Kosmopolitisierung der bundesrepublikanischen Gesellschaft.
Kai Friedrich Schade wurde 1940 in Heide in Holstein geboren. Nach dem Abitur 1960 am Frankfurter Leibniz-Gymnasium studierte er Volkswirtschaft und Gesellschaftslehre an der dortigen Goethe-Universität. 1966 schloss er sein Studium mit dem Diplom in den Sozialwissenschaften Ökonomie und Soziologie ab. Zwischen 1966 und 1968 wurde er zwei Jahre als wissenschaftlicher Redakteur bei der Zeitschrift »Offene Welt« in Frankfurt journalistisch ausgebildet. Danach wechselte er nach einer dreimonatigen Zwischenstation an der Universität Heidelberg in die Abteilung für Öffentlichkeitsarbeit des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit in Bonn. Dort, im BMZ, war er unmittelbar an jenen Reformen beteiligt, die »Entwicklung« in der Bundesrepublik überhaupt erst als eigenständiges Politikfeld zwischen Außen- und Wirtschaftspolitik etablierten. Schon kurz nach Aufnahme seiner Tätigkeit in Bonn schloss Schade sich der neu gegründeten Arbeitsgemeinschaft für Friedens- und Konfliktforschung an, in deren Rahmen er mit mehreren Positionspapieren das Verständnis von Entwicklungspolitik als internationaler Friedenspolitik vorantrieb. Die Impulse aus diesem Arbeitskreis führten unter anderem zur Etablierung der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung im Oktober 1970. Ins Zentrum seiner Tätigkeit im BMZ rückte ressortbedingt das Problem entwicklungspolitischer Bewusstseinsbildung, in all ihren Facetten – als Form ministerieller Öffentlichkeitsarbeit, vor allem aber als pädagogische Aufgabe in Schulen, als gesellschaftliche Aufklärung und als öffentlicher, kritischer und partizipatorischer Diskurs über Voraussetzungen, Formen und Ziele der Entwicklungspolitik.
 
 
Johannes Paulmann (Direktor der Abt. Universalgeschichte, IEG Mainz):

Begrüßung (Audio)

Erhard Eppler (ehem. Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit):

Grußwort - verlesen durch Karoline Schade-Meier (Audio)

Kai Schade gehörte zu der Minderheit, die von denen, die sich als »Macher« verstanden, geduldet, aber nicht ganz ernstgenommen wurden. Ohne EPD und seine entwicklungspolitische Redaktion wäre die Dritte-Welt-Bewegung noch wesentlich kleiner ausgefallen, als sie war. Und dass sie sich nie mit einer Nischenexistenz abfand, haben unbeugsame Menschen wie Schade bewirkt. Im Jahr 2015, wo vor allem zerfallende und zerfallene Staaten im Nahen Osten und in Afrika Millionen Menschen zu Flüchtlingen machen, ist wohl die richtige Zeit, einen Menschen zu ehren, der seine ganze Kraft einer Aufgabe widmete, deren Bedeutung von Jahr zu Jahr deutlicher erkennbar wird.

Bernhard Gißibl (IEG Mainz):

Kai Friedrich Schade und die »epd-Entwicklungspolitik« – zur Einführung (Audio)

Blättert man heute, weit über ein Vierteljahrhundert später, durch die einzelnen Ausgaben der Entwicklungspolitik, findet man ein Kompendium der Kernthemen gegenwärtiger Globalisierungskritik. Der Informationsdienst griff zeitgenössische Formeln eines neuartigen Bezuges von Gesellschaft, bzw. Individuum und Welt auf und füllte sie alle zwei Wochen mit ganz konkreten Inhalten. Dazu gehörten die ökumenische Formel christlicher »Weltverantwortung« in der »Einen Welt«, die aus Dependenz- und Weltsystemtheorien gespeiste Überzeugung von »globalen Interdependenzen« und der fatalen Abhängigkeit der Peripherie, aber auch die aus dem Umweltdiskurs stammende Einsicht in die »Grenzen des Wachstums« auf einem finiten blauen Planeten. Gleichzeitig war die EP ein »glokales« Medium. Ihr Weltbezug hatte feste Wurzeln in Frankfurt und der entwicklungspolitischen »Szene« und Institutionenlandschaft in der Region.

Die »epd-Entwicklungspolitik« aus der Sicht von Redaktion und Beirat

Norman Paech (Hamburg):

Vom BMZ-Montagskreis zum beratenden Ausschuss der »epd-Entwicklungspolitik« (Audio)

Wie Kai Schade war Norman Paech Mitglied des sogenannten Montagskreises, der sich Ende der 1960er, Anfang der 1970er Jahre aus jungen, kritischen und reformwilligen Mitarbeitern des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit rekrutierte. »Es war die Hochphase der Dritte-Welt-Kritik, es war eine ausgesprochen argumentativ-antagonistische Zeit. Noch unter der Ägide von Minister Hans-Jürgen Wischnewski hat sich das BMZ einige Hochschulabsolventen geleistet, die noch nicht abgeschliffen waren in irgendeiner anderen Verwaltung, sondern die unangepasst aus den Universitäten kamen. Sie haben dann in diesem Ministerium diesen Gesprächskreis eingerichtet. Dort haben wir durchaus konstruktive Dinge gemacht, auch im Sinne von Minister Erhard Eppler. Wir wurden insbesondere an all die verschiedenen Dritte-Welt-Gruppen entsandt: Wir sollten sozusagen die Kritik erfassen und auch fruchtbar machen. Wir verstanden uns durchaus auch als Übertragungsmechanismus der Kritik der Dritte-Welt-Gruppen in das Ministerium selbst.

Konrad Melchers (Berlin):

Leiderfahrung und kreative Offenheit: Reflexionen über das Redigieren der »epd-Entwicklungspolitik« (Audio)

In den 38 Jahren Existenz der Redaktion haben wir ungefähr 50 000 Seiten redigiert. Für Kai Schade und seine Kollegen in der Redaktion war sehr wichtig die ethische Dimension der Entwicklungspolitik. Unsere Leitlinie war das Dreigestirn des konziliaren Prozesses: Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung. Von besonderer Bedeutung für unsere Arbeit war zudem die politische Dimension mit den beiden Ebenen globaler Politik einerseits und konkreter Entwicklungs-, bzw. Armutsbekämpfungsprojekte andererseits. Der Informationsdienst war immer mehr an der globalen Politik interessiert, und es war ein ständiger Spagat, zwischen beiden Ebenen zu vermitteln.


Perspektiven aus dem Umfeld der Publikation

Erika Stückrath (Bielefeld):

Bewusstseinsbildung über Lateinamerika – als freie Mitarbeiterin bei der »epd-Entwicklungspolitik« (Audio)

Für die Diskussionen über die politischen Ereignisse in Lateinamerika in den 1970er und 1980er Jahren war es, besonders in den kirchlichen Dritte Welt Gruppen, aber auch im schulischen Religionsunterricht, sehr hilfreich, dass die weitreichenden gesellschaftlichen und ideologischen Umbrüche seit 1970 in einer von der EKD veranlassten Veröffentlichung ihren publizistischen Niederschlag  finden konnten. 
Die dabei von der Redaktion gesetzten Akzente auf genaue Berichterstattung, Hinhören auf offiziell nicht wahrgenommene Stimmen, Aufzeigen von ungerechten Machtstrukturen, Bestärkung von Hoffnungszeichen aus dem Süden, Mahnung zu politischer Verantwortung der Kirchen und kritischem Blick auf die europäische Entwicklungspolitik – diese Anforderungen haben meine spätere Weiterarbeit im Welthaus Bielefeld und auch im Vorstand des Instituts Südwind prägend begleitet.

Urs A. Jaeggi (Schwanden/Sigriswil):

Die »Stimme der Stimmlosen« im deutschsprachigen Raum – eine Schweizer Perspektive (Audio)

Die Bewusstseinsbildung in breiten Teilen der Bevölkerung für eine Entwicklungspolitik, die sich nicht in der Nothilfe, bei kriegerischen Ereignissen, Terroranschlägen und Naturkatastrophen, oder in der Finanzierung von Kleinstprojekten in Entwicklungsländern erschöpft, erfordert nicht nur die Zusammenarbeit aller kompetenten Akteure. Sie bedarf auch einer publizistischen Begleitung, die fern aller Partikularinteressen eine ebenso sachkundige wie auch in komplexen Fragen verständliche Berichterstattung pflegt und Zusammenhänge aufzeigt. Entwicklung neu denken und kommunizieren – die ersten Schritte dazu sind getan, vor allem dank der mitunter unbequemen, aber notwendigen und immer von überragender Sachkenntnis getragenenen Beharrlichkeit eines weit über die Gegenwart hinausblickenden Friedrich Kai Schade.

Die epd-EP in Wissenschaft und Zeitgeschichte: Kontexte, Themen, Perspektiven

Claudia Lepp (München):

Die evangelische Kirche und die Dritte-Welt-Bewegung (Audio)

Angestoßen durch die Entwicklungsdebatte in der Ökumene und begünstigt durch das gesellschaftliche Reformklima orientierte sich die evangelische Entwicklungsarbeit in den späten 1960er Jahren neu: Das humanitär-diakonische Engagement für die »Dritte Welt« wurde durch ein advokatorisch-politisches Engagement ergänzt. 1973 erschien die EKD-Denkschrift »Der Entwicklungsdienst der Kirche – ein Beitrag zu Frieden und Gerechtigkeit in der Welt«. Den Autoren zufolge sollte sich kirchliche Entwicklungsverantwortung künftig am Ziel der »sozialen Gerechtigkeit« orientieren. Ein Schwerpunkt wurde bei der Öffentlichkeitsarbeit gesehen. Entsprechend gab der Evangelische Pressedienst die in der »Dritte-Welt-Szene« geschätzte Zeitschrift »epd-Entwicklungspolitik« heraus.

Jörg Becker (Solingen):

Evangelische Publizistik und Neue internationale Kommunikationsordnung (NIIO) – eine persönliche Rückschau (Audio)

Kai Friedrich Schade und seine Redaktion hatten innerhalb des Gemeinschaftswerks der evangelischen Publizistik einen schweren Stand. Seine Zeitschrift war von allen im GEP erscheinenden Publikationen die politischste. Sie war nicht nur politisch, sie engagierte sich bewusst in ihrer Parteinahme für arme Entwicklungsländer. Bei allem sozialen Engagement ging eine solche Position vielen GEP-Kollegen eindeutig zu weit. »epd-entwicklungspolitik« gründete im christlichen Entwicklungsengagement. Das heißt, diese Zeitschrift verstand sich als Sprachrohr der Opfer von Ausbeutung, Militarismus, Rassismus, Apartheid, Sexismus, Schuldenlast und des Konsums der Wenigen auf Kosten des Elends der Vielen. »epd-entwicklungspolitik« verstand sich als Lautsprecher der stumm gemachten, stellvertretend für sie erhebt sie ihre Stimme. Obwohl »epd-entwicklungspolitik« christlich begründet war, arbeitete sie bewusst säkular, öku­menisch, interkonfessionell. Ihr Engagement äußerte sich in einer Ethik der Solidarität, des gemeinsamen Handelns, des Teilens und des Nachgebens, der Toleranz gegenüber dem Fremden und Anderen.

Hartmut Elsenhans (Leipzig):

Die »epd-Entwicklungspolitik« und die Wissenschaften (Audio)

Was die Wissenschaften der Entwicklung anbelangt, hatte Kai Schade ein wichtiges Prinzip völlig akzeptiert, nämlich dass die Wissenschaft primär die Waffen der Kritik bereitstellt, diese aber nicht selbst anwendet. Kai Schade hat Gegenöffentlichkeit gemacht. Und eine ganz wichtige Funktion der Entwicklungspolitik ist es gewesen, bereits andernorts erschienene wissenschaftliche Artikel nachzudrucken und ihnen damit eine große Verbreitung zu verschaffen.

Öffentlicher Abendvortrag

Irene Dingel (Direktorin der Abt. Abendländische Religionsgeschichte, IEG Mainz):

Einführung in den Abendvortrag (Audio)

Wolfgang Gern (Frankfurt):

Publizistik der Kirchen und die Herausforderung der Einen Welt: Erfahrungen und Perspektiven (Audio)

Publizistik der Kirchen ist nicht zu denken ohne den Einsatz für eine verantwortliche Weltgesellschaft. Sie ist also immer mehr als Nachrichtenarbeit, sie ist Bildungs- und Bewusstseinsarbeit. Kirchliche Publizistik hat es mit Einfühlung und Neugier zu tun. Eben gerade dort innezuhalten und nach den Menschen zu schauen, ja nahe zu sein, wo andere sich vornehm zurückhalten. Partei nehmen, Fürsprecher sein, gerade für diejenigen, die keinen Weg zur Öffentlichkeit finden. Wer die Sprache der Fürsprache spricht und quasi »Stimme der Stummen« wird, kann niemals eine Sprache der Ausgewogenheit sprechen und muss für das Recht auf Einseitigkeit plädieren. Ich behaupte, diese politische Dimension der Kommunikation hat dazu beigetragen, den zivilgesellschaftlichen Einsatz für die Eine Welt zu differenzieren und zu qualifizieren – so sehr, dass auch staatliche Entwicklungspolitik an dieser Form der Kommunikation nicht mehr vorbeikam.
 


Klezmers Techter
 
Dank
Das Leibniz-Institut für Europäische Geschichte bedankt sich bei der Akademie des Bistums Mainz im Erbacher Hof und ihrem Direktor Prof. Dr. Peter Reifenberg für die gelungene Kooperation bei der Durchführung des Symposiums. Ein besonders herzlicher Dank gilt der Witwe Kai Schades, Susanne Rauscher-Schade, sowie seinen Töchtern Karoline Schade-Meier und Kordula Schade für die umfangreiche Unterstützung bei der Vorbereitung und Durchführung der Veranstaltung. Ein weiterer Dank gilt dem Trio Klezmers Techter für die stimmungsvolle musikalische Umrahmung der Veranstaltung, ein Geschenk der Familie Schade. Das Symposium wurde ermöglicht durch die finanzielle Unterstützung des DFG-Graduiertenkollegs »Die christlichen Kirchen vor der Herausforderung ›Europa‹«.