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Transkonfessionelle Mobilität. Die russisch-orthodoxe Mission und das ostsyrische Christentum im Iran (1898–1918)

Das russisch-iranisch-osmanische Grenzgebiet wurde im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert zu einer Kontaktzone von überregionaler Bedeutung. Dieser transimperiale Raum zeichnete sich nicht zuletzt dadurch aus, dass dort der machtpolitische Streit um den Einfluss in Zentralasien ausgetragen wurde, an dem gleich mehrere europäische Akteure beteiligt waren. Eng damit verbunden ist ein religionshistorisches Phänomen, das bisher kaum erforscht ist: die Aufnahme beziehungsweise Verdichtung von Kontakten zwischen den lokalen orientalischen Christentümern und den Kirchen europäischer Provenienz. Dass protestantische, römisch-katholische und später auch russisch-orthodoxe Missionsstationen in der Region etabliert wurden, prägte die Dynamik dieser Interaktion entscheidend. Da die Missionierung unter der muslimischen Bevölkerung sowohl im Iran als auch im Osmanischen Reich gesetzlich untersagt war, richteten die europäischen Missionare ihre Bestrebungen auf die als heterodox geltende christliche Minderheit. Die daraus resultierten Verflechtungen und christlichen Neuformationen bilden den Gegenstand des Forschungsprojektes.
Im Mittelpunkt der Untersuchungen stand das Fallbeispiel der Interaktion zwischen der Russischen Orthodoxen Kirche und der Apostolischen Kirche des Ostens, jener Kirche, die in der ostsyrischen theologischen Tradition verwurzelt ist (und oft fälschlicherweise als »nestorianisch« bezeichnet wird). Dabei wurden erstmals die Aushandlungen religiöser Differenz zwischen der russischen Orthodoxie und dem ostsyrischen Christentum sowie ihre gegenseitigen Wechselwirkungen analysiert. Der Untersuchungszeitraum umfasst die Zeit der unmittelbaren Tätigkeit der »Russischen Geistigen Urmia-Mission« (genannt nach der Stadt im Nordwesten Irans) von ihrer Gründung 1898 bis zu ihrer Auflösung 1918 im Zuge von Massakern an den christlichen Minderheiten im osmanisch-iranischen Grenzgebiet. Von zentraler Bedeutung für das Forschungsvorhaben war die Frage, wie Mobilität und Wandel der selbst- wie auch fremdzugeschriebenen religiösen Zugehörigkeit zusammenhängen. Damit wollte das Projekt das analytische Konzept »Konversion« präzisieren sowie ein methodisches Instrumentarium erarbeiten, um die neueren missionsgeschichtlichen Ansätze unter Berücksichtigung von orthodoxer und orientalischer Christentumsgeschichte konzeptionell auszuweiten.