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Arbeitsbereich Gesellschaft

Arbeitsbereich Gesellschaft: Differenzierung – Mobilität – Konvivialität

Der Arbeitsbereich »Gesellschaft« nimmt europäische Geschichte aus der Perspektive des Zusammenlebens von Menschen in den Blick. Gefragt wird nach Veränderungen, Kontinuitäten und Brüchen gesellschaftlicher Vorstellungen, Praktiken und Ordnungen im Zeitraum von gut fünfhundert Jahren von der Frühen Neuzeit bis in die Zeitgeschichte. Dabei werden historische Varianten des Zusammenlebens in verschiedenen Teilen Europas sowohl vergleichend in den Blick genommen als auch der Transfer zwischen ihnen untersucht. Besondere Aufmerksamkeit erhalten die europäischen Beziehungen zu anderen Weltregionen, die stets auch auf die europäischen Verhältnisse zurückwirkten. Die kulturgeschichtliche Herangehensweise umfasst sämtliche Dimensionen des Zusammenlebens von Menschen und Gruppen (soziale, politische, rechtliche, ökologisch-ökonomische, kulturelle usw.) und knüpft damit zugleich an den Arbeitsbereich »Religion« an.
 

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Ziele

Der Arbeitsbereich »Gesellschaft« nimmt europäische Geschichte aus der Perspektive des Zusammenlebens von Menschen in den Blick. Gefragt wird nach Veränderungen, Kontinuitäten und Brüchen gesellschaftlicher Vorstellungen, Praktiken und Ordnungen im Zeitraum von gut fünfhundert Jahren von der Frühen Neuzeit bis in die Zeitgeschichte. Dabei werden historische Varianten des Zusammenlebens in verschiedenen Teilen Europas sowohl vergleichend in den Blick genommen als auch der Transfer zwischen ihnen untersucht. Besondere Aufmerksamkeit erhalten die europäischen Beziehungen zu anderen Weltregionen, die stets auch auf die europäischen Verhältnisse zurückwirkten. Die kulturgeschichtliche Herangehensweise umfasst sämtliche Dimensionen des Zusammenlebens von Menschen und Gruppen (soziale, politische, rechtliche, ökologisch-ökonomische, kulturelle usw.) und knüpft damit zugleich an den Arbeitsbereich »Religion« an.

Gesellschaften sind dynamisch und vernetzt: sie verändern sich in der Zeit und sie sind keine abgeschlossenen, homogenen Ordnungen. Ihr Wandel rührt zum einen aus Differenzierungen. Das betrifft die Abgrenzung von großen Gruppen voneinander und die Zugehörigkeit der Menschen etwa zu Ständen, Konfessionen und Religionen, Professionen, Geschlechtern, Klassen, Nationen oder digitalen Filterblasen. Das umfasst zugleich aber auch alltägliche Praktiken, mit denen Menschen sich und andere unterscheiden. Darunter fallen etwa Körperpraktiken und Kleidung, Sprache und Kommunikation, Ehrerbietung und Stigmatisierungen, Arbeitsformen und Familienbeziehungen, die jeweils historisch bedingt sind. Zum anderen sind fast alle Gesellschaften durch verschiedene Formen von Mobilität geprägt. Soziale, kulturelle und räumliche Bewegungen führten zu gesellschaftlichem Wandel, und gesellschaftlicher Wandel löste umgekehrt Mobilität aus, beispielsweise in Form von Arbeitsmigration, Flucht und Displacement, touristischen Reisen sowie sozialem Auf- und Abstieg, dem Rollentausch zwischen Amts- und Privatperson oder dem Wechsel von Parteizugehörigkeiten.

Diese dynamischen Prozesse der Mobilität und Differenzierungen stellten Gesellschaften vor Herausforderungen, indem sie soziale, kulturelle und politische Grenzen und Konflikte verstärkten und Ordnungsmuster infrage stellten. Sie ermöglichten aber auch neue Verbindungen über innergesellschaftliche und äußere Grenzen hinweg. Analytisch lassen sich die verschiedenen Ausprägungen des gesellschaftlichen Mit-, Gegen- und Nebeneinanders als Konvivialität fassen und historisch untersuchen. Anknüpfend an die im bisherigen Programm betriebenen Forschungen zu Mobilität und Differenzierung stellt die Frage nach Konvivialität, die in den nächsten Jahren stärker in den Mittelpunkt des Forschungsinteresses rücken soll, sowohl eine konzeptionelle Erweiterung als auch eine Verschiebung der Perspektive dar. Die Frage ist weniger, warum bestimmte Gesellschaften trotz Differenzierungen und Mobilitäten funktionierten oder an ihnen scheiterten, sondern wie die europäischen Gesellschaften der Neuzeit zu unterschiedlichen Zeiten und in verschiedenen historischen Kontexten diese fundamentalen, inhärenten Transformationsprozesse bewältigten. Das historische Erkenntnisinteresse richtet sich also aus akteurszentrierter Perspektive auf die Wandelbarkeit, die Möglichkeitsbedingungen sowie die Vielheit der Formen und Praktiken gesellschaftlichen Zusammenlebens – auch mit Blick auf die Geschichte der europäischen Gegenwart.

Arbeitsschwerpunkte 2024/2025

Eine Reihe von Projekten untersucht das Verhältnis von Konvivialität und Minoritäten. Als Gruppen werden dabei u.a., Täufer und Juden in der Frühen Neuzeit, die Angehörigen fremder »Nationen« an den großen Handelsumschlagplätzen des frühneuzeitlichen Europas, Migranten und Diplomaten im Osmanischen Reich, Revolutionsflüchtlinge im 19. Jahrhunderts sowie die sogenannten Ruhrpolen im 19. und 20. Jahrhundert in den Blick rücken. Status, Handlungsspielräume und gesellschaftliche Teilhabe solcher Minderheiten, die aus Prozessen der Differenzierung und Mobilität hervorgingen, lassen in besonderer Weise Rückschlüsse auf die spezifischen historischen Ausprägungen von Konvivialität zu.

Einen zweiten Schwerpunkt bildet die Frage nach Konvivialität in Nachkriegsgesellschaften. Kriege als Extremfall menschlichen Zusammenlebens stellten Gesellschaften stets vor besondere Herausforderungen. Sowohl Religions- und Bürgerkriege als auch in expansiver Absicht geführte Eroberungskriege warfen Fragen nach dem künftigen Verhältnis von Siegern und Besiegten, Opfern und Tätern, Wiedergutmachung, Vergessen und Erinnerung auf. Nachkriegsgesellschaften mussten neue Grundlagen für Konvivialität schaffen. Diese Zusammenhänge sollen in epochenübergreifender Perspektive von der iberischen und osmanischen Expansion im 15. und 16. Jahrhundert und den frühneuzeitlichen Religionskriegen bis zum Zweiten Weltkrieg und dessen Nachwirkungen (displaced persons, Reparationen) untersucht werden.

Ein dritter Schwerpunkt rückt das Verhältnis Europas zu anderen Weltregionen in den Mittelpunkt und kreist um die Frage nach globaler Konvivialität und Machtasymmetrien. Hier soll u.a. untersucht werden, wie Kolonialismus und Imperialismus, aber auch die Tätigkeit internationaler Organisationen im 20. und 21. Jahrhundert, Vorstellungen und Praktiken von Konvivialität in unterschiedlichen Weltregionen beeinflussten.

Ein vierter Schwerpunkt beschäftigt sich mit den Auswirkungen von Technik und Technologien auf menschliches Zusammenleben. Die Versuche der Schaffung eines »neuen Menschen« im Industriezeitalter rücken dabei ebenso in den Fokus wie Technikoptimismus und Technikkritik in den 1970er- und 1980er-Jahren. Dieser Arbeitsschwerpunkt weist enge Verknüpfungen zum künftigen Arbeitsbereich »Umwelt« auf.

Schließlich wird ab 2024 der Fortsetzungsantrag des Sonderforschungsbereichs 1482 »Humandifferenzierung« (Laufzeit erste Phase bis Dez. 2025) zusammen mit der JGU vorbereitet werden, wobei die historische Perspektive für die zweite Phase noch gestärkt werden soll. Dieses Anliegen wird durch das geplante Kompendium »Menschen unterscheiden. Historische Zugänge zur Humandifferenzierung« substantiell unterstützt.