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Beihefte online

Andreas Kunz/Johannes Wischmeyer *


Inhaltsverzeichnis
Geleitwort: Frühneuzeitliche Friedensgrenzen im Kontext raumbezogener Fragestellungen

Gliederung:
Anmerkungen
Zitierempfehlung

Text:

Der vorliegende online-Sammelband zu den ›Grenzen des Friedens‹ kombiniert einen konzeptionellen und einen materialen Ansatz: Theoretischer Fokus ist die raumbezogene Analyse historischer Gesellschaften, ihrer Diskurse und Institutionen. Thematischer Schwerpunkt sind die Rahmenbedingungen frühneuzeitlicher Friedensverträge, die in den Jahren 2005 bis 2009 von einer DFG-finanzierten Projektgruppe am Institut für Europäische Geschichte untersucht wurden. Das Interesse der – allesamt dem Friedensverträge-Projekt verbundenen – Autoren geht dahin, Fragestellungen, die sich dem sogenannten ›spatial turn‹ in den Sozial- und historischen Kulturwissenschaften widmen, für die Erforschung frühneuzeitlicher Friedensverträge und der sie umgebenden politischen Kultur fruchtbar zu machen. Damit werden gleich mehrere aktuelle Tendenzen der Frühneuzeitforschung aufgegriffen – die erhöhte Aufmerksamkeit gegenüber Phänomenen von geographisch und/oder sozial konnotierter Räumlichkeit; die Beschäftigung mit Fragen der politischen Kultur; und nicht zuletzt das Interesse an kulturellem Austausch, Transfer- und Übersetzungsbeziehungen auf europäischer Ebene und darüber hinaus.

Gleichzeitig dokumentieren die hier vorgelegten Studien die Kooperation mit dem am Institut für Europäische Geschichte seit 2007 eingerichteten Forschungsbereich ›Raumbezogene Forschungen zur Geschichte Europas seit 1500‹, dem das Friedensverträge-Projekt im letzten Jahr seiner Laufzeit teilweise zugeordnet war. Der Forschungsbereich hat sich zum Ziel gesetzt, die Frage nach den Grundlagen des modernen Europa in räumlicher Perspektive zu thematisieren. Dieser Frage wird in Form von Analysen historischer, geographischer, wirtschaftlich-sozialer, kulturell-religiöser und politischer Räume und Raumsysteme in der europäischen Geschichte der Neuzeit nachgegangen. Bei aller Heterogenität der innerhalb des Forschungsbereichs verfolgten Einzelprojekte und bei aller Offenheit für neuere, sozialwissenschaftlich bestimmte Raumtheorien verbindet die am Forschungsbereich beteiligten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die Überzeugung, dass eine Operationalisierung der Raumsemantik im Zuge historischer Untersuchungen nur dann sinnvoll ist, wenn die untersuchte Situation eine wahrnehmbare geographische Dimension besitzt. In der Zusammenarbeit mit dem Friedensverträge-Projekt hat sich die Tragfähigkeit dieser Voraussetzung erneut bewiesen. Darüber hinaus waren und sind für alle Beteiligten zwei konzeptionelle Leitgedanken bestimmend:

Die erste verbindende Fragestellung gilt den Kriterien für Raumbildung. Dabei interessiert zunächst die Herausbildung, Entwicklung und Aushandlung von Grenzen als Grundlage der Konstituierung sowie der Veränderung historischer Räume. Weiterhin wird untersucht, auf welche Weise die interne Kohäsion dieser Räume durch Organisations- und Entwicklungsstrategien gesteigert bzw. durch Differenzierungen und Diversifizierungsprozesse gemindert wurde. Daraus hat sich eine Reihe zu bearbeitender Forschungsfelder ergeben: Seit Längerem wird die Entwicklung von überregionalen und transnationalen Wirtschaftsräumen im Zeitalter der Moderne, auch in ihrer Rolle als Motor von zentralisierten politischen Räumen, untersucht. In jüngerer Zeit kam die Frage nach der Genese und dem Ausbau von Religions- bzw. Konfessionsräumen hinzu – mit Schwerpunkten im Zeitalter der Konfessionalisierung Europas sowie im langen 19. Jahrhundert. Im Friedensverträge-Projekt wird nun eine der zentralen Leitfragen des Forschungsbereichs – diejenige nach der Entwicklung von politischen Räumen bzw. nach der Territorien- und Staatenbildung sowie der »Lebens«-Geschichte dieser Räume – aufgegriffen. Ansatzweise geht es außerdem um die (oft prekäre) Beziehung sprachlicher, ethnischer und allgemein primär kulturell bestimmter Räume zu politischen Raumsystemen. Ohne sich mit diesen Themen zu beschäftigen, kann die Ausbildung des modernen Europa in seiner territorialen Gliederung nicht verstanden werden.

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Die zweite gemeinsame Leitfrage betrifft die Interaktion von historischen Räumen. Charakteristisch für die europäische Geschichte der Neuzeit sind wechselnde Konstellationen grenzübergreifender politischer Bündnisse, religiös-konfessioneller Kulturräume sowie wirtschaftlicher und wissenschaftlicher Kooperationen. Diese historischen Raumbeziehungen stellen Grenzbildungen infrage und führen zu ihrer zeitweiligen Überwindung. In beteiligten Forschungsprojekten wurden bisher die Schaffung internationaler Verkehrsnetze – als »entgrenzende« Voraussetzung für überregionale und transnationale Handelsbeziehungen, auch und gerade in Zeiten merkanntilistischer bzw. nationalökonomischer Tendenzen der Wirtschaftspolitik –, die Ausbildung politischer Kooperationsräume, außerdem überregionale Religions- und transnationale Bildungspolitik untersucht. Dabei stand immer auch die Frage im Vordergrund, inwiefern die Interaktion historischer Räume sowohl als parallele wie auch als eine zeitversetzte Reaktion auf Grenzziehungen verstanden werden kann. Das im vorliegenden online-Sammelband verfolgte Konzept der ›Friedensräume‹ fragt nach der wechselseitigen Interaktion europäischer Räume und Raumsysteme in Form politischer Allianzen, Unionen, Staatenbünde oder auch nur vermittels einer institutionalisierten Friedensdiplomatie. Es erweitert und vertieft damit die im Forschungsbereich behandelten Sachthemen um die (Kultur-)Geschichte der internationalen Beziehungen.

In der Summe zeigen die Beiträge das Erkenntnispotenzial, das raumbezogene Fragestellungen in sich bergen. Es ist zu wünschen, dass bald weitere Forschungen den hiermit eröffneten Diskussionsraum beleben werden.

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ANMERKUNGEN

[*] Andreas Kunz, Ph.D., Institut für Europäische Geschichte, Mainz.

Johannes Wischmeyer, Dr., Institut für Europäische Geschichte, Mainz.



ZITIEREMPFEHLUNG

Andreas Kunz/Johannes Wischmeyer, Geleitwort: Frühneuzeitliche Friedensgrenzen im Kontext raumbezogener Fragestellungen, in: Martin Peters (Hg.), Grenzen des Friedens. Europäische Friedensräume und -orte der Vormoderne, Mainz 2010-07-15 (Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz, Beiheft online 4), Abschnitt 5–6.
URL: <http://www.ieg-mainz.de/vieg-online-beihefte/04-2010.html>.
URN: <urn:nbn:de:0159-2008061836>.

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