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Religion, Mobilität und interkulturelle Kommunikation – das frühneuzeitliche Spanien und das protestantische Europa

Das Projekt untersucht die soziale Praxis und die Fremd- und Selbstwahrnehmung von Gruppen und Individuen, die sich zwischen beiden Kultur- bzw. Konfessionsräumen bewegten. Am Beispiel der hansisch-spanischen Beziehungen sowie der Beziehungen der spanischen Monarchie zu England und den Niederlanden konnte gezeigt werden, dass beide Seiten schon im letzten Drittel des 16. Jahrhunderts bereit waren, die existierenden konfessionellen Differenzen gemeinsamen außen- und handelspolitischen Interessen unterzuordnen, und in der Praxis zu mitunter erstaunlich pragmatischen Lösungen im Umgang mit dem konfessionell Anderen in der Lage waren. Die jüngst neuerlich vertretene These einer Konfessionalisierung der Außenpolitik, für die die spanische Monarchie unter Philipp II. oft als Paradebeispiel angeführt wird, ist daher mit einem Fragezeichen zu versehen. In jedem Fall muss hier deutlicher zwischen der Selbstdarstellung und Fremdwahrnehmung des spanischen Imperiums auf der einen und der politischen und diplomatischen Praxis auf der anderen Seite unterschieden werden. Für die soziale Praxis der unmittelbar involvierten Akteure, etwa der protestantischen Kaufleute, die sich zeitweise oder dauerhaft im Herrschaftsbereich der spanischen Krone aufhielten, bedeutete der interkonfessionelle Kontakt, sich den Erwartungen und Verhaltensanforderungen ihres katholischen Umfelds zumindest äußerlich anzupassen. Solche Praktiken der Dissimulation beförderten offenbar langfristig die Verwischung konfessioneller Identitäten innerhalb dieser hochmobilen Personengruppe, die damit in deutlichem Kontrast zu religiösen Diasporagemeinschaften (Juden, Hugenotten) steht. Im Rahmen der Forschung zeigte sich, dass die Maßnahmen der spanischen Krone, den Transfer religiöser Ideen zu filtern und zu kontrollieren, Hand in Hand mit einer allgemeinen Verschärfung entsprechender Grenzregime mit Blick auf den Transfer von Personen und Handelswaren gingen. Auch hier standen den Praktiken der Kontrolle Strategien der Dissimulation, Verstellung und des Spiels mit falschen Identitäten gegenüber. Neben religiös-konfessionellen Unterschieden rückten dabei insbesondere im Zusammenhang mit den gegen die aufständischen Niederlande verhängten Handelsembargos vermehrt “nationale” Zuschreibungen entlang politisch-territorialer Grenzen ins Blickfeld der Obrigkeiten. Im Zusammenhang mit der diplomatischen Praxis hansischer und niederländischer Gesandter auf der Iberischen Halbinsel fiel der politisch- soziale Gegensatz zwischen Fürstenstaaten und Stadtrepubliken ins Auge, der die konfessionelle Problematik zum Teil überlagerte. Als weiterhin ungeklärt muss die Frage gelten, wie sich die religiös-konfessionelle Selbst- und Fremdzuschreibung auf die ökonomische Praxis der zeitgenössischen Akteure auswirkte. Erste Untersuchungsergebnisse am Beispiel hanseatischer Kaufleute in Sevilla lassen jedenfalls keinen Zusammenhang erkennen, der sich im Sinne eines vermeintlichen Gegensatzes zwischen katholischer “Mußepräferenz” und protestantischer “Arbeits- und Berufsethik” deuten ließe.

Project duration: 2008-2010
Project members:
  • Thomas Weller